Ciriel hat geschrieben:Ja. Und da gebe ich Dir auch Recht. Man darf mit seinen Editionen nicht betrügen. Es muss genau als Untertiel erwähnt werden, was mit dem Original - falls es ein Original überhaupt gibt -, gemacht worden ist, falls damit etwas gemacht worden ist.
Da bin ich aber erleichtert, dass ich das irgendwie erklären konnte, ich habe ziemlich lange an meinem vorigen Post gesessen.
Freut mich auch, dass das geklärt ist.
Ich habe mich da noch nicht schlau gemacht: Ist es einfach, an eine Märchensammlung mit den "alten" Fassungen zu kommen? Das fände ich interessant. Oder weiss man genau, welche Fassungen "umgeschrieben" wurden, die gesammelt waren? Ich kenne mich da wie gesagt nicht aus.
So weit ich weiß, sind die Quellen, die die Grimms benutzt haben, alle erhalten. Dunkel erinnere ich mich, dass das aber nur Zufall ist. Denn die Grimms wollten irgendwen als Mitarbeiter haben - der das dann allerdings ablehnte -, und dem haben sie die Unterlagen geschickt. Und bei ihm hat man die Grimmschen Unterlagen gefunden.
Und ebenfalls sind natürlich alle Auflagen der Grimmschen Märchen erhalten, und ich nehme an, dass das von Auflage zu Auflage auch verglichen wurde.
Ob man da leicht rankommt, kann ich nicht sagen; ich denke aber, ja. Es erfordert nur eine ganz normale Recherche in den Buch- und Dissertationskatalogen. Oder man findet per Zufall eine Diss im Netz, die sich mit den Grimmschen Märchen auseinandersetzt. Da werden dann mit Sicherheit Quellenangaben sein.
Von der "Kalevala" zum Beispiel weiß ich, dass Lönnrot jedes Zettelchen aufbewahrt hat, und dass es Arbeiten mit präzisen Vergleichen gibt, was Lönnrot da alles verändert hat.
Eigentlich ist mein Grundproblem, dass mein Eindruck ist, man kommt an ältere Märchenfassungen als die von Grimms nur sehr schwer ran. Das finde ich einfach nur schade.
Ach, Du meinst gar nicht die Quellen, auf die die Grimms sich bezogen?
Ich denke, die Grimms waren so ziemlich die ersten, die deutsche Märchensammlungen herausgaben. Sie bezogen sich ja auf viele ausländische Märchensammlungen - die sind aber alle bekannt und stehen, soweit ich mich erinnere, im Vorwort zu meiner Reclam-Ausgabe. Vor allem französische Sammlungen waren es wohl, aus denen sie ausgewählt haben.
Und dann gibt es natürlich die englischen Lang-Ausgaben, auf die Tolkien sich bezogen hat. Und woraus Lang seine Märchen her hat, das ist meines Wissens auch alles aufgearbeitet. Die Märchenforschung insgesamt ist in meinen Augen vorbildlich. Es sind ja fast alle Märchen der Welt mit Index versehen. So kann man sie stofflich leicht vergleichen. Das findet man bei Wikipedia. Jedes Märchen ist da indiziert.
Meist steht das allerdings in den Büchern drin, und oft auch als Untertitel - zumindest als Impressum: dass die Bücher gekürzt oder umgeschrieben wurden. Als Kind achtet man vielleicht nicht drauf, aber man sollte auch als Kind lernen, darauf zu achten.
Auf jeden Fall. Ich war damals leider noch in einem Alter, in dem ich noch gar nicht wußte, was ein Impressum ist.
Das ist dann eben eine Schwierigkeit. Wenn ein Kind in einem Punkt frühreif ist und empfindlich auf gekürzte Märchen reagiert, andererseits aber nicht weiß, wie man erkennt,
dass hier nur eine Kürzung vorliegt: dann gibt es meines Erachtens keine Lösung. Wie sollen die Verlage darauf reagieren, was sollen sie tun?
Das ist natürlich herbe. Aber eigentlich hätte das im Buch stehen müssen.
Wie alt war ich da? 10? 12? Irgendwas in der Richtung. Und es stand drin, wie ich später mal in einer anderen Ausgabe gesehen habe - aber man musste eben wissen, wo man schauen muss (was ich zuerst noch nicht wußte, siehe oben). Ich habs dann mal vollständig in der Oberstufe gelesen, weil wir eine Unterrichtseinheit "Weltliteratur" hatten, und das stand auf der Liste. Da habe ich mir dann eine Ausgabe mit Anmerkungen besorgt (die man auch inzwischen dafür braucht). Und siehe da: Ich mag die Geschichte seitdem. Vorher konnte ich damit nicht viel anfangen.
Ich glaube wirklich, dass es nicht möglich ist für die Verlage, solche Probleme zu lösen. Dafür eben gibt es die Elternhäuser, in denen individuelle Eigenschaften der Kinder erkannt und berücksichtigt werden.
Man kann nicht einmal den physischen Hunger der Kinder auf der Welt beseitigen. Es gibt für so vieles keine Lösung, obwohl es dringend erforderlich wäre.
Ich selber denke dann immer: Gerade die, die etwas erlitten haben, können dann doch versuchen, Abhilfe zu schaffen. Denn nur sie wissen um dieses Problem. Woher sollen die anderen Erwachsenen das wissen?
Ich hab vor ein paar Tagen einen Artikel gelesen, wo ein Mann - aus Deutschland, glaube ich - als Kind Voll-Legastheniker war, er konnte bis weit in die Manneszeit hinein weder lesen noch schreiben. Er galt als geistig behindert, wurde in der Kindheit von den Eltern auch so behandelt.
Durch irgendwas hat er dann als junger - oder schon mittlerer - Mann erkannt, woran es lag. Er begriff, dass in dem Hirn von Legasthenikern eine Abstraktionsfähigkeit anders gelagert war als bei den Nicht-Legasthenikern. In dem Moment konnte er sich helfen. Er lernte in wenigen Tagen lesen und schreiben, machte dann Abi, studierte etc. Er stellte dann fest, dass er hochbegabt war.
Aber, und darum schreibe ich das: dieser Mann sah von nun an seine Aufgabe darin, das, was er erkannt hatte, anderen zu vermitteln. Er eiert seitdem über den Globus und hält überall Vorträge, schreibt Bücher und gibt Schulungen.
Was ich sagen will, Carola: was in den Kindern vorgeht, wissen nur sie. Wenn sie das später als Erwachsene nicht äußern, kann niemand etwas verbessern.
Was ich schön fände, wäre mal eine Liste in der vorliegenden Ausgabe, was noch dazu gehört bzw. was eben weggelassen wurde. Ich fühle mich meist mit dem Gefühl "Es gibt noch mehr, aber was, verrate ich dir nicht!" zurückgelassen.
Ich denke, dass da überhaupt keine böse Absicht dahinter steht. Damals hatte man noch nicht dieses Quellenbewusstsein. Man veröffentlichte einfach die Edda für bestimmte Lesergruppen, damit sie überhaupt auch nur wieder zugänglich ist. Man muss ja auch gucken, aus welcher Zeit diese Veröffentlichungen stammen.
Ich würde einfach gerne wissen, was und wieviel weggelassen wurde, ähnlich dem "diese Ausgabe ist gekürzt"-Vermerk, das würde schon reichen. Aber auch das habe ich bisher vergebens gesucht.
Okay, mag auch an mir liegen, möglicherweise habe ich was falsch gemacht.
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass heute ein eingetragener Verlag noch wagt, etwas gekürzt zu veröffentlichen und es nicht zu vermerken.
Dieses Bewusstsein ist erst mit der Zeit entstanden.
Und wenn bis heute niemand so eine Liste gemacht hat, dann liegt es vermutlich eben daran, dass keiner die Zeit oder das Geld hatte, das zu tun. Solche Forschungslücken gibt es zu Hauf.